Donnerstag, 21. Januar 2021

Geplaudert mit Peter Galler - Das Interview für den Newsletter «Sélection» 03/2021

Vierzig Jahre war Peter Galler (79J.) als Gärtner, Bestatter und Grabmachermeister auf dem Friedhof Hörnli tätig. Rund 40'000 Menschen hat er in dieser Zeit zu Grabe getragen und menschliche Schicksale und Geschichten aus einem halben Jahrhundert Bestattungs- und Stadtkultur miterlebt. 1961 begann er zudem, seiner kuratorischen Berufung nachzugehen, indem er seltene und schöne Urnen vor der Zerstörung rettete. Seit 1994 hat seine Sammlung von Objekten der Basler und Schweizer Bestattungskultur und Artefakten aus aller Welt in den Räumen des alten Krematorium auf dem Friedhof Hörnli einen Platz gefunden und bekommt mit jeder Führung von ihrem Kurator Peter Galler neues Leben eingehaucht. So befindet sich auf dem grössten Friedhof der Schweiz auf Riehener Boden das einzige Schweizer Museum für Bestattungskultur (Sepulkralkultur), und wenn Sie es noch nicht kennen, sollten Sie es unbedingt kennenlernen!

 

Der Tod war Ihr tägliches Brot und doch wirken Sie, als ob Sie mehr positive Energie in sich tragen als so manch Einer. Stimmt dieser Eindruck, und wie passt das zusammen?

Ich habe einfach sehr viel erlebt und gesehen und bin immer neugierig geblieben: Was mich interessierte, davon wollte ich mehr wissen. Das war schon in meiner Kindheit so. Nun bin ich ausgestattet mit einem grossen Rucksack voller Wissen zum Leben und Sterben, zu Stadt- und Kulturgeschichte und den vielen kleinen Dingen dazwischen. Die Möglichkeit, dieses Wissen weiterzugeben – hier in der Sammlung, mit meinen Führungen - treibt mich an und macht mich glücklich.

  

Sie haben Schweizer Leichenwagen, Aschenurnen, Grabkreuze, Gedenkschmuck, Trauerkunst, chirurgische Implantate zusammengetragen und eine unglaubliche kulturgeschichtliche Sammlung kuratiert. Wie haben Sie diese gefunden, bzw. wie hat diese Sie gefunden?

Mit 20 Jahren habe ich die ersten historischen Urnen vor der Zerstörung gerettet und damit wohl auch den Grundstein für das spätere Museum gelegt. Mein damaliger Chef, Hermann Oppliger, unterstützte meine Vorhaben nach ersten Bedenken, hielt gleichzeitig aber auch fest, dass ein Museum zu unterhalten also kein Spaziergang sei. Ab dann war ich überall als «Alteisensammler» bekannt. In den vielen Jahren, die folgten, war es tagtägliches Engagement und das Prinzip «Geben und nehmen», das die verschiedensten Artefakte aus der ganzen Welt aufs Hörnli brachte: Man kennt sich (bis hin nach Budapest, Den Haag, London, Wien und Kassel), man hilft sich gegenseitig, man engagiert sich und knüpft Beziehungen und zack, schon hört man von einem Leichenwagen, oder jemand bringt eine ganz spezielle Urne vorbei.

 

Was gehört für Sie zu den grössten Funden und Perlen? 

Es gibt natürlich viele optisch schöne Dinge, historisch Interessantes oder Kurioses, Beeindruckendes. Ich liebe die Leichenwagen, und der Leichenschlitten ist eines meiner Lieblingsstücke. Diesen haben wir in ziemlicher Knochenarbeit von Davos nach Basel gebracht, mussten die Achse abmontieren, weil wir ihn am Stück gar nicht ins Museum hätten bringen können. Es gibt auch historische Maschinen, die ich zum Teil aus mehreren Fundstücken unter grossem Getüftel selbst wieder zusammengebaut und tauglich gemacht habe. Die sind mir natürlich auch sehr lieb und wichtig.

 

Sie kennen vielleicht mehr Basler und Riehener Namen, Familien, Lebensgeschichten und Todesursachen als jeder Staatsschreiber. Gibt es welche, die Ihnen besonders geblieben sind und die Sie uns, natürlich unter Wahrung der Privatsphäre der Betroffenen, erzählen können?

Traurig und gleichzeitig auch schön ist die Geschichte von einem kleinen Bub, der bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Noah. Sein Vater hat ihm einen kleinen Sarg gebaut, der wie ein Schiffli aussah. Der kleine Körper hätte schon längstens bei uns sein sollen, da wurde klar, dass der Vater ihn selbst abgeholt hatte – mit dem Velo! - und offenbar einen Umweg am Rhein gemacht hatte, um dem Kleinen zu zeigen, wo er dann losfahren könnte auf seine letzte Fahrt. Ja, das ist einem richtig ans Herz gegangen.

 

Sie haben grosse Leidenschaft und viel Arbeit in das Zusammentragen und die Pflege dieser Sammlung gesteckt. Unterstützt wurden Sie dabei von einem privaten Gönnerverein. Was würden Sie sich für die Sammlung wünschen?

Den Verein haben wir vor vielen Jahren gegründet, als klar wurde, dass es Geld braucht, um die Sammlung pflegen zu können. Wir haben rund 120 Mitglieder zurzeit, und die Beiträge sind bis heute äusserst moderat. Grosse Sprünge kann man damit natürlich nicht machen – aber wir haben auch nie unnötige Ausgaben getätigt und eiserne Reserven für vielleicht einmal anstehende Restaurationen angelegt. Das Museum besteht seit 1995, und es ist in der Regel jeden ersten und dritten Sonntag im Monat geöffnet. Wir haben rund 1600 Besucher pro Jahr, auf Anfrage mache ich auch Führungen für geschlossene Gruppen. Natürlich würde ich mir wünschen, die Sammlung vergrössern und einem breiten Publikum präsentieren zu können. Aber hierfür bräuchten wir Gönner und vielleicht eben auch von offizieller Seite Unterstützung. Es ist ja das einzige Schweizer Museum dieser Art und präsentiert viel Riehener und Basler Stadtgeschichte. Ich würde einfach nie wollen, dass die Sammlung zu sehr verändert oder seziert wird –  sie ist organisch gewachsen, und die Geschichten in den Zwischenräumen gehören eben auch dazu. Das Persönliche dürfte nicht verloren gehen.

 

Womit wir bei Ihrer Person sind: Was Sie über den Tod und damit auch das Leben über die Jahre gelernt haben, kann man an keiner Uni lernen – wenn man bei einer Ihrer Führungen war, wird das ganz deutlich. Nun sind Sie wunderbarerweise an einem Buch über Ihr Leben und Ihre Sammlung – was werden wir darin finden, was nicht und wann wird das Buch erscheinen?

Nachdem mir immer wieder gesagt wurde, ich müsse „das“ doch aufschreiben, habe ich mehrere Anläufe genommen, meine Erlebnisse, die Geschichte der Sammlung und damit auch ein Stück Friedhofs- und Stadtgeschichte auf Papier zu bringen. Nach dem Tod meiner Frau habe ich aber damit aufgehört und erst jetzt, im Lockdown 2020, wieder angefangen, mein „Büechli“ zu schreiben. Unterstützt werde ich von einer jungen Autorin, und natürlich hoffen wir nun, einen Verlag zu finden, der dieses Projekt und die kultur- und sozialgeschichtlichen Aspekte und Inhalte schätzt und portieren möchte. In Basel gibt es sicher einige, die sich dafür gut eignen würden – ich bin gespannt und hoffe sehr, dass sich da eine gute Zusammenarbeit finden lässt.

 

Sie haben, sogar nach Ihrer Pensionierung, in der Dienstwohnung über der Kapelle gewohnt. Der Friedhof Hörnli war und ist quasi ihr Quartier, ihre „Hood“ – was bedeutet dieser Ort für Sie?

Ich kenne wahrscheinlich jede Ecke hier, weiss, wo was steht und liegt, habe diverse Vorgesetzte und Kollegen gehabt, habe Menschen kommen und gehen sehen, den Verlust und das Finden neuer Liebe und den Wandel der Zeit hier erlebt. Der Ort gehört fest zu mir und ich wohl auch zu ihm. 

 

Was würden Sie uns Sterbe-Laien und notorisch Beschäftigten für den Umgang mit dem Tod raten? 

Keine Angst davor haben, hinschauen, hingehen, sich damit auseinandersetzen. Am besten schon im Kindesalter damit beginnen,  um einen natürlichen, würdevollen Umgang mit und rund um das Sterben zu finden. Den Fakt akzeptieren, dass wir alle einmal von dieser Welt gehen und den Gedanken daran nicht einfach aus dem Leben verbannen, sondern integrieren wie einen Teil, eine Phase, die dann eben auch einmal ansteht.

 

Sie sind also ein absoluter Spezialist. Wissen Sie auch schon, wie Sie selbst von dieser Welt verabschiedet werden möchten?

Peter Galler zeigt auf eine blaue, irdene Urne in einer Vitrine. «In dieser Basler Staatsurne 3. Klasse von 1898 wird meine Asche ruhen – neben der meiner Frau. Ich habe sie noch lasiert, damit man sie gut abstauben kann». 

 

 

In der Reihe «Geplaudert mit ...» spricht das Kulturbüro mit Personen, die hinter den Kulissen der Riehener Kultur- und Freizeitangebote wirken. 

Peter Galler ist Kurator des Museums für Bestattungskultur auf dem Friedhof Hörnli. Für die vom Kulturbüro Riehen organisierten Führungen «à point» bietet er am Sa, 6. März 2021* eine Führung durch seine spannende Sammlung an. Infos und Anmeldung via: https://www.riehen-tourismus.ch/fuehrungen-point

* Etwaige Datumsänderung aufgrund von Coronabestimmungen vorbehalten. 

 

 

 

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